Rezension:
Eine harte, aber faire Kritik von Hans Küngs Theologie der Religionen
Von Dr. Stefan Hartmann
Etwa ein halbes Jahr vor dem Tod des aus Sursee/Schweiz stammenden Tübinger Theologen Hans Küng (1928-2021) erschien eine kritische Auseinandersetzung mit seinem Gesamtwerk im Verlag „Edition Hagia Sophia“ (Wachtendonk). Verfasser der als Dissertation an der Orthodoxen Fakultät in Karlsburg (Alba Iulia, Rumänien) eingereichten Arbeit ist der in Petersdorf/Rumänien als evangelischer Pfarrer wirkende deutsche Theologe Wolfgang Wünsch, der seiner Arbeit über Hans Küngs Theologie der Religionen den programmatischen Untertitel „Von der offenbarten dogmatischen Wahrheit zum interreligiösen Synkretismus“ gab. Sie besteht aus drei ausführlichen und kenntnisreichen Teilen.
Im ersten Teil „Biografie und theologische Entwicklung von Hans Küng“ wird trotz des Eingangssatzes „Hans Küng ist eine schillernde Persönlichkeit“ (25) wohlwollend und anerkennend unter Benutzung des Erinnerungsbandes „Erkämpfte Freiheit“ (München 2002) Küngs Herkunft und seine Bildungsgeschichte über die Stationen Luzern, Rom und Paris behandelt. Seine Lehrer waren unter anderen Sebastian Tromp SJ und sein Doktorvater Louis Bouyer. Nach der exzellenten Promotion in Paris am „Institut Catholique“ über die Rechtfertigungslehre im Tridentinum und bei Karl Barth ging sein theologischer Stern auf und brachte ihm 1960 einen Ruf auf den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie in Tübingen und die Bestellung zum „Peritus“ des Zweiten Vatikanischen Konzils. Einfühlsam und neidlos wird dieser Weg von Wünsch beschrieben bis zum tragischen Entzug der Lehrerlaubnis im Dezember 1979. Kritisch wird dann im zweiten Teil „die Auffassung Hans Küngs von Christentum und Kirche“ (119-195) behandelt. Dem zur Orthodoxie neigenden Theologen fehlt bei Küng der Blick auf die Mysterien nicht nur der Liturgie und der Sakramente, sondern auch der Christologie des „Gottmenschen“, der Pneumatologie und der Trinität insgesamt. Zwar wird die Einzigartigkeit Jesu auch in Küngs am historischen Jesus orientierter „Christologie von unten“ noch gesehen, aber es fehlt durch die Übernahme der Hellenisierungsthesen Adolf von Harnacks dabei die mystagogische Tiefe und Substanz.
Der dritte und für die These der Arbeit zentrale Teil widmet sich ausführlich und ohne Polemik „der Auffassung der Weltreligionen bei Hans Küng“ (197-307). Der erste große internationale Bestseller Küngs nach dem Lehrentzug, der durch eine unabhängige Professur an der Universität Tübingen und die weitere Leitung des „Instituts für ökumenische Forschung“ staatlich aufgefangen wurde, widmete sich dem Thema „Christentum und Weltreligionen“ (München 1984). Küng gibt dort den von drei Fachleuten vorgestellten Religionen des Islam, des Hinduismus und des Buddhismus jeweils eine „christliche Antwort“, die Wünsch dann sachlich und kritisch analysiert. Später kommen noch im populärwissenschaftlichen Buch „Spurensuche“ die Stammesreligionen und 1988 (nicht 1999, wie Wünsch irrtümlich betont) im Folgeband (zusammen mit der Chinesin Julia Ching) die von Küng besonders geschätzte chinesische Religion dazu. Wünsch sieht das grundsätzlich lautere Bemühen Küngs, Übereinstimmungen, Analogien und Harmonien festzustellen. Jedoch fehlt bei Küng eine interreligiöse Kontroverstheologie. Sicher kann es hilfreich sein, semitisch-prophetische religiöse Strömungen wie Judentum, Christentum und Islam von indisch-mystischen Strömungen wie dem Hinduismus und Buddhismus, sowie von chinesisch-weisheitlichen Strömungen wie dem Konfuzianismus und Taoismus zu unterscheiden. Für einen christlich-katholischen Theologen kann das aber nur ein erster Schritt sein. Hans Küng ist kein pluralistischer Religionstheologe wie John Hick oder Paul F. Knitter, die Jesus relativieren und für einen austauschbaren Avatar halten, aber auch bei ihm bleiben Person und Gestalt Jesu in einem bloß „prophetischen“ Schimmer, der sie zu wenig gegenüber Buddha, Konfuzius, Moses und dem Judentum oder Mohammed profiliert und abhebt. Warum noch „Christ sein“ (so der Bestsellertitel 1974), wenn andere Religionen im Wesentlichen schon oder wieder dasselbe bieten? Küng widerspricht in seinem „historisch-kritischen“ Antihellenismus auch seinem großen Freund und Förderer Karl Barth, für den Religionen menschliche Erfindung und Unglaube waren. Soweit wird nach dem ökumenischen Konzil der 1960er Jahre ein Katholik nicht gehen, zumal 1986 Papst Johannes Paul II. durch ein interreligiöses Weltgebetstreffen in Assisi ein Zeichen gesetzt hat, das ohne Synkretismus indirekt seinem Kritiker Hans Küng entgegenkam und für das er heftigen Protest fundamentalistischer Katholiken (wie etwa durch den Ratzinger-Schüler Johannes Dörmann) erhielt. Der „religiöse Sinn“ (Luigi Giussani) ist jedoch Teil der menschlichen Natur.
Wolfgang Wünsch steht in einer Tradition orthodoxer Christenheit, die von Küng in seinem Buch „Das Christentum“ (1994) und anderswo als ein überholtes Paradigma und stiefmütterlich behandelt wurde. Insgesamt hinterfragt Wünsch mehrfach, ob die bei Küng von Thomas S. Kuhn übernommene Paradigmentheorie zur Erfassung religiöser Wirklichkeiten und Entwicklungen überhaupt geeignet ist. Diese mag ein historischer und humanwissenschaftlicher, kann aber wegen seiner Traditionsfeindschaft kein theologischer Erklärungsversuch sein. Auch Küngs aus den Lehren der Weltreligionen extrahierte Idee eines alle vereinenden „Weltethos“ kann von der religiös-existentiellen Entscheidung zum von Paulus verkündeten Christus-Glauben von Kreuz und Auferstehung nicht dispensieren. Wünschs textlich und wissenschaftlich überzeugende Arbeit über die Denkversuche Hans Küngs wird hoffentlich die Rezeption finden, die sie verdient. Ihre Kritik ist „hart, aber fair“.