Prof. Wassilij A. Schipkow

Rezension:

Optimierung des Menschengeschlechts?

Über Transhumanismus

Von Hans Jakob Bürger

Im Jahr 2019 hat sich Kardinal Robert Sarah in einem Interviewbuch den Fragen von Nicolas Diat gestellt und ausführlich Fragen zum Transhumanismus beantwortet. Sarah sagt in „Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden“[1]:

„Die gegenwärtige Revolution hat einen Namen: Optimierung des Menschengeschlechts oder Transhumanismus. Ihre Möglichkeiten rekrutieren sich aus Nanotechnologie, Biotechnologie, Informationstechnologie und Neurowissenschaften (NBIC). Ziel ist es, die menschlichen Grenzen zu überschreiten und einen Übermenschen zu schaffen.“ 

Am 26. September 2018 durfte der deutsche Philosoph Stefan Lorenz Sorgner der in Wien erscheinenden Tageszeitung „Der Standard“ in einem Interview, das unter dem Titel „Erfülltes Leben durch neue Technologien“ geführt wurde, den folgenden Satz diktieren: 

„Eine zentrale transhumanistische Zielsetzung ist es, die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen des Posthumanen zu erhöhen, was weithin problematische Konnotationen hervorrufen mag. Welche Eigenschaften der Posthumane besitzen wird, ist innerhalb des Transhumanismus umstritten. Die radikalste Form ist der in einen Computer hochgeladene Geist, eine digitalisierte Persönlichkeit, wie sie von Ray Kurzweil vertreten wird. Ich schließe diese Möglichkeit zwar nicht aus, halte ihre Realisierung innerhalb der nächsten 30 Jahre aber für höchst unplausibel. Mir erscheinen die Varianten des Implantierens von Chips im menschlichen Körper und die menschliche Selbstgestaltung mittels Gentechnik wesentlich vielversprechender zu sein. Allen Transhumanisten gemein ist die Annahme, dass mit neuesten Techniken die Chancen auf ein erfülltes Leben erhöht werden.“[2] 

Sorgner gilt laut Wikipedia als „Deutschlands führender post- und transhumanistischer Philosoph“ und als Experte im Bereich der Ethik der neuen Technologien[3].

In seinem 2016 ausgerechnet im Herder-Verlag erschienenen Buch „Transhumanismus“ benennt er zahlreiche Theorien des Transhumanismus. Er wird wohl mit Bedacht einen Untertitel zu seinem Buch eingeführt und mit Ausrufe- und Fragezeichen versehen haben. So bleibt dem interessierten Leser zunächst noch frei, zu denken, Sorgner wäre noch unentschlossen, was vom Transhumanismus zu halten sei: „‚Die gefährlichste Idee der Welt‘!?“[4] 

Die Ideen der vermeintlich Mächtigen

Den Ideen des Transhumanismus sind heute weltweit Menschen erlegen. Insbesondere sind es hochrangige Persönlichkeiten jedweder Couleur, vor allem aus Politik, Wirtschaft, Medien und natürlich jenen Kreisen, die über enorme Geldsummen verfügen oder darüber entscheiden. Fast allen gemeinsam ist, dass sie im Hintergrund agieren.  

Die Themen des Transhumanismus kommen selten an die Öffentlichkeit. Erst mit Klaus Schwab, dem Gründer und geschäftsführenden Vorsitzenden des Weltwirtschaftsforums (WEF) wurden, seit er im Jahr 2020 sein „Wirtschaftsplanungsprojekt“ „The Great Reset“[5] als Buch vorstellte, jene Ideen bekannt, mit denen die vermeintlich Mächtigen eine Wirtschaftsplanung zum nachhaltigen Wiederaufbau von Wirtschaft und Gesellschaft (nach der Covid-19-Pandemie) initiieren wollen. Die in „The Great Reset“ benannten Ziele scheinen es gut mit den Menschen zu meinen. Erst bei genauerer Analyse wird man verstehen, dass die wirklichen Ziele der Protagonisten ganz andere sind.  

Die Revolution, von der Kardinal Sarah spricht, meint die philosophischen Vorstellungen, die Stefan Lorenz Sorgner und andere von einer besseren Welt propagieren, die Ideen der vermeintlich Mächtigen der Welt, die in „The Great Reset“ nachzulesen sind, aber auch die Gender-Ideologie und die nach 1968 zweite sexuelle Revolution, welche heute als „LGBT-Bewegung“ (Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender) daherkommt und mit aggressivem Auftreten und Fordern hochgradiger sexueller Verirrungen immer mehr Rechte für sich beansprucht und Machtpositionen einnimmt. All diese Bewegungen werden heute unter dem Dach des Transhumanismus zusammengeführt und gefördert. 

Nach Kardinal Sarah geht der Transhumanismus noch darüber hinaus. Denn mit ihm nähme der „Totalitarismus eine subtilere und schädliche Gestalt“ an. Die „Vergötterung der vollständigen und uneingeschränkten Freiheit“ sei „am aggressivsten in der Gender-Ideologie und im Transhumanismus“ festzumachen. Diese seien die „furchtbaren Nachfolger“ des Nationalsozialismus, Faschismus und Kommunismus. Diese Ideologien leugneten die menschliche Würde und hießen Abtreibung und Sterbehilfe einen Segen. 

Der inzwischen pensionierte Kardinal hält es im Hinblick auf die aktuellen geschichtlichen Entwicklungen für dringend notwendig, „dass die Kirche – durch die Stimme ihrer Würdenträger – mit Bestimmtheit den Willen des Schöpfers verkündet in Bezug auf den Menschen, die Familie, die Ehe, die Heiligkeit des Lebens und den Respekt vor jeder Person“.  

Für einen Christen ist es keine Frage, sondern eine Tatsache: Der christliche Glaube ist eine Alternative zum Transhumanismus und zeigt der von solchen Bewegungen geforderten maßlosen Selbstoptimierung die Grenzen. 

Konstruktion einer eigenen Anthropologie

Sind wir hier nicht an dem Punkt angekommen, an dem sich die Ökumene unter den Christen zeigen muss? Müssen nicht endlich die maßgebenden Vertreter aller christlichen Konfessionen aufstehen und Widerspruch einlegen gegen das, was auf die Menschen zukommt? Müssen sie nicht endlich und konsequent die Botschaft Jesu Christi hinaustragen: Kehrt um, glaubt an das Evangelium, nur so werdet ihr gerettet! 

Einige russische Wissenschaftler, die aus dem Umfeld der Orthodoxen Kirche kommen, haben sich dezidiert geäußert. Zum Themenkomplex des „Transhumanismus“ haben sie ein Buch vorgelegt, das im deutschen Verlag „Hagia Sophia“ unter dem Titel Nach dem Menschen[6] erschienen ist. Im Untertitel wird das Vorhaben der Autoren deutlicher, da sie ihre Leser über die Ideologie und Propaganda des Transhumanismus in der Postmoderne aufklären wollen. Denn der Transhumanismus und seine Ideen begegnen uns in vielfältigen Gesichtern.   

Als die nächste Stufe und Form der Ideologie des Humanismus ist im vergangenen Jahrhundert der Transhumanismus entstanden. Es waren jene Momente, da von der Gesellschaft, der Politik, aber auch der Kirche, ethische Beschränkungen aufgegeben wurden, „die von der traditionellen (christlichen) Anthropologie geerbt worden waren“. Die „humanistische Selbstbeweihräucherung des Menschen“, so sagt Wassilij A. Schipkow, habe einen „extremen Grad“ erreicht, „der zur Ablehnung jeglicher Normativität im Blick auf das Bild und die Natur des Menschen führte“. Tatsächlich bedeute Transhumanismus „Überschreitung der menschlichen Grenzen“. 

Für Professor Schipkow, Direktor des Forschungszentrums „Russische Expertenschule“, zwingt die Ideologie, die den Humanismus in den Transhumanismus umwandelt, die Menschen in Zustände, die nicht mehr menschlich sind. Der Transhumanismus konstruiere seine eigene Anthropologie, also die Lehre vom Menschen, die danach strebe, „eines Tages die gesamte Anthropologie abzuschaffen, den Begriff des Menschen abzuschaffen“. 

Hier habe die Bioethik einen großen Einfluss. Sowohl über den Beginn menschlichen Lebens als auch über sein Ende werde weithin philosophiert und geforscht. Zunächst sollen Experimente mit dem menschlichen Genom, den Zellen und Organen, die Lebensqualität verbessern. Dabei sei der Transhumanismus als „eine Variante der Ideologie des Technologismus“, daran interessiert, „zum Nutzen des Menschen“ „zu einem Verständnis von Technik als einem höchsten, heiligen Wert“ zu führen. Mit Hilfe dieser Technik (Elektronik, Computerchips) würden die Menschen immer mehr vereinzelt. Der Sinn der zu erreichenden technologischen „Singularität“ impliziere „das Erreichen des ultimativen Ziels der transhumanistischen Doktrin – biologische Unsterblichkeit“. Die menschliche Natur soll umgestaltet werden. Der Mensch will Gott spielen und noch mehr. 

Hier gilt es daran zu erinnern, dass es schon vor Jahrzehnten erste Versuche gab, menschliches Leben dadurch zu „verlängern“, dass lebende Menschen eingefroren wurden. „Kryokonservierung“ nennt die Biotechnik jenes Verfahren, das mit seiner Unsterblichkeits-Rhetorik suggeriert, menschliches Leben könne unbegrenzt verlängert werden. Die Sehnsucht danach, als Mensch gesund länger zu leben, wird heute weltweit, insbesondere in den westlichen Ländern, auf der Bio-Welle propagiert, doch ist dies nur eine Zwischenstation. 

Bis ins Unendliche vorangetrieben werden die Gedankenspiele, wenn man betrachtet, dass heute unter dem Begriff „mind uploading“[7] realisiert werden könnte, was uns undenkbar erscheint. Dabei ist „mind uploading“ ein hypothetischer Prozess, durch den mentale Inhalte auf ein externes Medium übertragen werden sollen. Alles zugunsten des Menschen, alles für den Humanismus – oder muss man nicht ehrlicher sagen: alles für die „Transformation des Humanismus in den Transhumanismus“. 

„Die Prinzipien des Humanismus (Anthropozentrismus und Negation der Tradition) implizierten von Anfang an das Bestreben des Menschen, totale Macht über sich selbst, über Leben und Tod zu haben und den Menschen auf der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse zu einem neuen Wesen mit Superkräften zu entwickeln.“ (W. A. Schipkow) 

Zweifellos finden sich Elemente der Ideologie des Transhumanismus längst vor seiner Entstehung in der säkularen Kultur. „Die Ideologie des Transhumanismus zerlegt in Anlehnung an den Humanismus das ganzheitliche Bild des Menschen weiterhin in viele Elemente, Kombinationen von Identitäten, wie Nationalität, Rasse, Alter, politische Ansichten, Engagement für transnationale Marken und Geschlecht.“ 

Es werden Möglichkeiten angeboten, „Elemente der Identität frei und beliebig zu kombinieren“. Dass dabei ein neues, anderes „soziales Konstrukt“ gestaltet wird und der Mensch dabei seine „Integrität und Subjektivität“ verliert, scheint dabei nebensächlich zu sein. Denn „die Rolle des Menschen als Subjekt wird vom Menschen selbst auf die Elemente seiner Identität verlagert“.  

Für die Betreiber der Konsumgesellschaft eröffnet ein solcher „Werte- und Weltbildwandel“ vielfältige neue Möglichkeiten. Der Transhumanismus wird als Chance betrachtet, die „Konsumindustrie quantitativ und qualitativ“ auf ein neues Niveau zu heben. Doch in Wirklichkeit führt er „zur Fragmentierung des Menschenbildes und zur Kommerzialisierung des Prozesses der Selbstidentifikation, indem die menschliche Identität auf das Objekt der Marktbeziehungen reduziert wird und der Hauptgegenstand des Konsums, anstelle von materiellen Objekten und deren Werbebildern, die Elemente der menschlichen Identität selbst werden“. 

„Die Wahl zwischen Transhumanismus und traditionellen Werten ist eine ethische, moralische Wahl.“ 

Religiöse Kreise ihrerseits debattieren derzeit, wie sie auf die Herausforderung des Transhumanismus reagieren sollen. Einige nehmen die Herausforderung des Transhumanismus an. Andere rufen dazu auf, sich dieser aggressiven säkularen Ideologie nicht zu stellen, sich von der Welt abzukapseln und in die Katakomben zu gehen (im direkten und übertragenen Sinn). In diesem Fall müssen sich die Isolationisten nicht nur von denen abgrenzen, die diese Ideologie teilen, sondern auch von der gesamten westlichen Welt, da der Transhumanismus auf dem humanistischen Weltbild basiert, das in der modernen westlichen Zivilisation vorherrscht und die Anfänge des Transhumanismus in sich trägt. Der Versuch einer Isolierung ist in diesem Fall gleichbedeutend mit einer Flucht vor der Realität und einem vorzeitigen Eingeständnis der Niederlage. 

Ob und inwieweit die römisch-katholische Kirche für die Herausforderung durch die Bestrebungen des Transhumanismus gewappnet ist, ist noch unklar.  

Doch gibt es Anzeichen dafür, dass sie es nicht ist. Offenbar geworden ist dies nicht zuletzt durch das Engagement des Papstes für den Klimaschutz, die Corona-Impfung und die Ernennungen von kirchenfernen Personen als Fachleute in kuriale Institutionen. Zuletzt bekannt geworden ist jene von Jeffrey Sachs[8] zum Mitglied der Päpstlichen Akademie der Sozialwissenschaften. 

Ein Traum und eine Stiftung

Dem „Traum des Papstes von der Geschwisterlichkeit aller Menschen“, den er mit seiner Enzyklika „Fratelli tutti“[9] unter das Volk brachte, entschlüpfte neuerdings eine neue Stiftung, die Kardinal Gambetti vorstellte: „Der Plan war, näher an die alltäglichen Probleme der Menschen heranzukommen, und zwar in einem Geist des Dialogs und der Begegnung. Ein staatsbürgerliches Bewusstsein zu schaffen, einen neuen Humanismus, der sich gegen den Niedergang stemmt. Denn sonst wird die Welt unbewohnbar.“ 

„Die Stiftung […] ist offen zur Welt. Wir wollen auch andere aus der Gesellschaft, aus der Wirtschaft und den Institutionen gewinnen und mit ihnen zusammen Projekte erarbeiten. Vor allem Bildungsprojekte […] Aus dem Miteinander verschiedener Blickwinkel auf dasselbe Problem soll sich der Umriss einer Lösung abzeichnen, eine Richtung. So dass man zusammen vorangehen kann, statt nur von der Strömung weit weggespült zu werden von den Menschen und von der geschwisterlichen Liebe.“[10] 

Am 20. Oktober sprach Gambetti im italienischen Senat in Anwesenheit des italienischen Gesundheitsministers von einem „neuen Humanismus“, der damit verwirklicht werden solle. Er beschwor die Notwendigkeit eines „integralen Humanismus“ und eines „Wörterbuchs des Menschlichen“. Die Worte klingen nebulös und, was immer sie bedeuten mögen, sie erinnern an die Ideen des Transhumanismus. Im Petersdom, der Hauptkirche der Katholiken, würden „Veranstaltungen und Rundgänge“ stattfinden, „Erlebnisse und Momente rund um die Mutter-Basilika der katholischen Kirche“ organisiert, damit „die Verinnerlichung der Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ gefördert würden. „Wir können sehen, dass der Petersdom in eine Art Kulturzentrum umgewandelt wird, in dem natürlich von Zeit zu Zeit eine Messe gelesen wird, aber ohne Übertreibung.“[11]   

Prof. Wassilij A. Schipkow. Nach dem Menschen. Ideologie und Propaganda des Transhumanismus; Mit drei Essays von Igumen Vitalij (Utkin), Prof. Alexander Dugin und Wladimir Basenkow: Edition Hagia Sophia 2021. 

[1] Robert Kardinal Sarah, Nicolas Dias: Herr bleibe bei uns. Denn es will Abend werden; FE-Medienverlag 2019.

[2] https://www.derstandard.de/story/2000088059066/transhumanist-mensch-ist-nicht-krone-der-schoepfung.

[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Stefan_Lorenz_Sorgner.

[4] Stefan Lorenz Sorgner. Transhumanismus: „Die gefährlichste Idee der Welt“!?; Herder 2016.

[5] Klaus Schwab. The Great Reset; deutsch: Corona-19: Der große Umbruch;  Forum Publishing 2020.

[6] Prof. Wassilij A. Schipkow. Nach dem Menschen. Ideologie und Propaganda des Transhumanismus; Mit drei Essays von Igumen Vitalij (Utkin), Prof. Alexander Dugin und Wladimir Basenkow: Edition Hagia Sophia 2021. 

[7] http://www.minduploading.org/.  

[8] Jeffrey Sachs hat sich in seiner Laufbahn immer wieder für Bevölkerungskontrolle durch künstliche Verhütungsmittel eingesetzt. Er tritt außerdem für die Legalisierung der Abtreibung ein.

[9] https://www.dbk.de/themen/enzyklika-fratelli-tutti.

[10] https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2021-10/stiftung-vatikan-fratelli-tutti-gambetti-kardinal-geschwister.html.

[11] Vgl.: https://infovaticana.com/2021/10/22/el-cardenal-gambetti-anuncia-la-creacion-de-la-fundacion-vaticana-fratelli-tutti/; auch: https://infovaticana.com/blogs/specola/rodeados-de-ecotranshumanismo-un-sinodo-de-papel-y-poca-sustancia-escandalos-vaticanos-del-dia-el-poder-del-rosario/; oder: https://infovaticana.com/blogs/specola/la-imposicion-del-transhumanismo-el-papa-francisco-y-las-solteronas-populus-summorum-pontificum-en-vaticano-es-posible-vivir-sin-dios/. Diese Rezension erschien in der Kirchlichen Umschau, 24. Jahrgang, Nr. 11, November 2021